04 Feb IDEEN, DIE ÜBERDAUERN
Zum Tod von Rolfrafael Schröer von Michael Serrer
Wenn er Menschen mochte, hat er sie bei Begegnungen gerne hochgehoben. Das tat er so lange, bis es ihm der Arzt verbot; da war Rolfrafael Schröer bereits in seinen 80ern. Und nicht nur die Schreibenden, Lesenden und Vermittelnden – er hat die ganze Literatur hochgehoben.
Vor über 40 Jahren hatte er die bis dahin von niemandem gedachte Idee, eine Einrichtung zu schaffen, die auf unterschiedlichste Weisen Sprachkunst an den Mann und an die Frau bringen sollte – ob mit Hilfe eines Literaturtelefons oder auf einem Poetenwanderweg. Diese Einrichtung war das Literaturbüro NRW, das er gründete und bis 1989 leitete, gemeinsam mit Lore Schaumann, die zahllose hoffnungsvolle Nachwuchsautorinnen und -autoren bei ihren Manuskripten beriet. Dieses erste Literaturbüro überhaupt diente schnell als Vorbild, allein an Rhein und Ruhr entstanden bald vier weitere; bis heute sind sie für die Vermittlung von Literatur unverzichtbar.
Der schnelle und nachhaltige Erfolg des Literaturbüros NRW hatte sehr stark mit der Person seines Erfinders und Leiters zu tun. Am 4. Dezember 1928 in Dresden geboren, verbrachte Rolfrafael Schröer seine Kindheit in Meißen. Als 16jähriger musste er in den letzten Kriegstagen noch Soldat werden; er sah, wie seine Geburtsstadt zerstört wurde. Mit 17 wurde er von den Sowjets ins Zuchthaus Bautzen gesperrt. Nach seiner Freilassung war er, der als Kind davon geträumt hatte, Tänzer zu werden, auf einem anderen Gebiet künstlerisch aktiv: Er entwarf Schmuck und wurde Graveur. Nach seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik arbeitete der vielfach Begabte und Interessierte u.a. als Erzieher in Bethel.
Aber schon in den 60er Jahren erschienen auch erste literarische Texte von ihm. Rolfrafael Schröer war niemand, der gerne im stillen Kämmerlein blieb – er liebte Gesellschaft und Auftritte, ob als Pantomime, Schauspieler oder Vortragender auf Lesebühnen. Neben Lyrik publizierte er Prosa, Dramen und Hörspiele, insgesamt rund 20 Bücher, darunter „Schaufelschnulzen für Reibeisenstimme“ und „Zeitalter der Ameise“.
Literatur war für ihn eine Reaktion auf die Vielfalt des Lebens, sie bot kein kategorisches Ja oder Nein, sondern bestand aus Farben, Klängen, skurrilen Abwegen, aus Menschen in ihrer ganzen Leiblichkeit, Traurigkeit, Gemeinheit, Prächtigkeit und Heiterkeit. Darauf stieß er gerne an, mit Künstlerkolleginnen und -kollegen, mit dem Publikum und bevorzugt mit Grappa (weshalb er mitunter auch Rolfrafael genannt wurde).
Seine vielfältigen, hochfliegenden Ideen hat er erstaunlich oft in die Tat umgesetzt – ob als Leiter des Literaturbüros oder ab 1989 als Gründer und Leiter des Künstlerdorfs Schöppingen im Münsterland. Wer hätte die jeweilige Vielfalt an Talenten besser zusammenbringen und voranbringen könne als Rolfrafael Schröer!
Seit 1997, in einem Alter, in dem andere ruhiger werden, war er mit seiner Frau Sigrun Rost als Rezitator im Dienste der Literatur unterwegs, er wies temperamentvoll und eindringlich das Publikum auf andere AutorInnen hin, bekannte wie unbekannte.
Für sein literarisches und literaturvermittelndes Wirken wurde er mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen, dem Bundesverdienstkreuz am Bande und zuletzt mit der Trude-Droste-Gabe der Stadt Düsseldorf. Am 27. Januar ist er, wie jetzt von seiner Familie mitgeteilt wurde, mit 93 Jahren in Münster gestorben.
Die Literatur in diesem Land hat dem umtriebigen, ideenreichen, humorvollen Rolfrafael Schröer sehr viel zu verdanken. Wir werden nicht mehr seinesgleichen sehen.
(Der Verfasser dieses Nachrufs ist seit 1998 Nachfolger von Rolfrafael Schröer als Leiter des Literaturbüros NRW)